Die Würde des Menschen …

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

So steht es in unserer Verfassung, dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, seit dem 23. Mai 1949 an vorderster Stelle, in § 1 Abs. 1, als allererstes dort formuliertes Grundrecht. Für mich ist diese Formulierung trotz ihrer steten herausragenden Präsenz lange Zeit abstrakt geblieben, gleichzeitig hatte ich aber das Gefühl, dass sich auf allen Ebenen des Alltags zahlreiche Beispiele finden, die die Frage nach der Anerkennung und praktischen Bedeutung dieses obersten Grundrechtes aufwerfen – nicht nur im Kontext der sogenannten „Corona-Pandemie„.

2018 veröffentlichte Gerald Hüther sein Buch Würde. Untertitel: Was uns stark macht – als Einzelne und als Gesellschaft. Auf dem Buchrücken fragt er mit leicht zynischem Unterton: „Wir alle wollen in Würde sterben, aber sollten wir nicht erst einmal in Würde leben?“ Sein Appell zielt auf die Wiederentdeckung, das sich Erinnern an die ureigene menschliche Würde als inneren Kompass, ohne den wir in einer „zunehmend komplexer werdenden und von ökonomischen Kriterien bestimmen Welt Gefahr [laufen], die Orientierung zu verlieren.“ 1

2022 hat Hüther in einem Livegespräch die Erfahrungen mit dem Buch einbeziehend diesen Ansatz auf sehr anschauliche und berührende Weise erläutert. So schön und authentisch, dass ich es hier wiedergeben möchte:

„Würde beschreibt die Subjekthaftigkeit eines Menschen. Wenn ich meine Würde wahre, stelle ich mich nicht mehr anderen Menschen als Objekt für deren Absichten zur Verfügung, ich lasse mich nicht manipulieren, ich bleibe bei mir und ich mache auch andere nicht zum Objekt, und ich mache mich auch nicht selber zum Objekt. Das ist Würde. – Mit Ethik, Moral und Werten hat das übrigens nichts zu tun, denn dies sind gesellschaftlich definierte Normen, die auch dem Wandel unterliegen. – Die Würde musst Du hingegen immer selber bestimmen. Das ist eine ganz subjektive Angelegenheit. Du bestimmst, was für ein Mensch Du sein möchtest. Du entschließt Dich dazu, Dich von niemand anderem mehr umherschubsen oder bevormunden zu lassen. Und dass Du das auch nicht mit anderen machst! Wenn Dich einer umherschubst, dann schubst Du nicht zurück. Das ist auch würdelos! – Der Weg dahin: gehe einfach liebevoller mit Dir selbst um! Das ist auch Subjekthaftigkeit! Du besinnst Dich auf das, was für Dich wichtig ist, was Dir am Herzen liegt, Du versuchst Deine wirklichen lebendigen Bedürfnisse zu stillen und wo immer es geht das zu machen was Dir gut tut anstatt Sachen zu machen nur damit andere Dich gut finden.“

Gerald Hüther, 18.05.2022

Für mich persönlich erscheint an diesem Blickwinkel vor allem wichtig, dass Würde im Kern bei uns selbst anfängt, in unserem Umgang mit uns selbst. Gemäß dem Gesetz der Resonanz werden wir sie erst und nur dann im Außen erfahren, wenn wir auch innerlich mit uns würdevoll umgehen. Und dies können wir am leichtesten, wenn wir uns selber nicht zum Objekt machen, sondern über unser Wesen und Sein anstatt über unser Ego, also unsere Rollen, Erwartungen und Zuschreibungen im Außen definieren. Ein nicht immer ganz einfacher, jedoch sehr wichtiger Prozess, wollen wir unserem Inkarnationsziel der Selbsterkenntnis näher kommen. Das Entlastende daran: Das ewige, nicht zu gewinnende Rennen, im Außen nach der Würde (in Form von Anerkennung, und Belohnung) zu suchen, kann beendet werden.

Eine kleine, leider traurige Anekdote am Rande: Im DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache zeigt die Verlaufskurve des Wortes Würde einen deutlich sinkenden Verlauf mit fast einer Halbierung seit etwa 1990.


Abbildungsnachweis

  • Gerald Hüther: Foto: Franziska Hüther, https://de.wikipedia.org/wiki/Gerald_Hüther#/media/Datei:Dr._Gerald_Hüther.jpg, CC BY-SA 4.0
  • Wortverlaufskurve Würde: https://www.dwds.de/wb/Würde, 16.03.2023
Fußnoten
  1. vgl. Gerald Hüther: Würde. Was uns stark macht – als Einzelne und als Gesellschaft, München (Knaus) 2018, Buchrücken []