„Hör auf Dein Herz“, „Der Verstand sucht – das Herz findet.“, „In der Tiefe Deines Herzens weißt Du, …“, …
In unserer Alltagssprache finden sich viele Formulierungen, die darauf schließen lassen, dass wir die spirituelle Größe unseres Zentralorgans, das weitaus mehr als nur ein Muskel ist, erkannt und verstanden haben. Und dennoch, wir leben in den Ausläufern der Ära der Intelligenz. Wissen und Verstand werden (vielleicht sogar mehr denn je) zur zentralen Instanz des Miteinanders und Lebens erhöht, ihr Wirken wird geradezu mit dem Sein gleichgesetzt. Dabei ist Spezialisierung angesagt. Sie eröffnet einerseits zwar ungeahnte Einblicke, birgt aber auch die Gefahr, den Blick für das Ganze und dessen Zusammenhänge zu verlieren.
Der westliche Mensch gleicht in seiner Suche, das Universum zu erkennen und zu begreifen, einem Wissenschaftler, der in einer gigantischen Kathedrale (die das Universum darstellt) mit einer Taschenlampe einzelne Details untersucht, und sich so über Hunderte von Generationen hinweg ein Bild zu machen versucht. Sein fernöstlicher Kollege hingegen macht oben, an der Decke der Kathedrale, eine Lampe an. Zwar sieht er keine klaren Details, aber er bekommt eine Ahnung von der Gesamtstruktur!
Alan W. Watts1
Dem fernöstlichen Weg liegt eine sehr wesentliche Erkenntnis zugrunde, nämlich das Prinzip der Einheit: Alles ist untrennbar eins. Und alles ist mit allem beziehungshaft verbunden – dies hat inzwischen auch die Quantenphysik nachgewiesen. Trennung existiert folglich nur in unseren Köpfen und drückt sich auch innerlich in Form eingeschränkter Wahrnehmung, selbst auferlegter Blockaden, isolierender Glaubenssätze und anderer selbst geschaffener Grenzen aus.
Der Verstand trennt, das Herz verbindet uns mit dem Universum.
Allmählich besinnen wir uns wieder dieser selbst erschaffenen künstlichen Begrenzungen, erkennen das Potenzial unserer Herzen, in denen Wahrheit und Weisheit zu Hause sind. Das Herz ist ein wacher Begleiter. Es ist dem Verstand nicht nur in seiner Intelligenz, sondern auch in seiner Wahrnehmungsfähigkeit um ein Vielfaches überlegen.
Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.
Antoine de Saint-Exupéry2
Die Wahrnehmungsfähigkeit des Herzens übersteigt die des Verstandes und der ihm zuarbeitenden Sinnesorgane um ein Vielfaches. Während Verstand und Unterbewusstsein etwa 40 bis 60 Informationen (Bits) pro Sekunde wahrnehmen und verarbeiten können, ist das Herz „in der Lage, das gesamte ‚Informationsfeld‘ mit allen elf Millionen Informationen abzugreifen, wahrzunehmen, zu verarbeiten und zu einem Ergebnis zu kommen.“3
Seit einiger Zeit befassen sich Forscher intensiv interdisziplinär mit den Fähigkeiten des Herzens. Dabei stellten sie unter anderem fest, dass das Herz, das für gewöhnlich als nichts weiter als ein großer Muskel angesehen wird, zu knapp zwei Dritteln aus Neuralzellen besteht, die für die Verarbeitung von Informationen zuständig sind. Der kanadische Neurokardiologe Dr. Andrew Armour entdeckte im Herzen ein komplexes neuronales Netzwerk, also einen speziellen Verbund von Nervenzellen, für den er bereits Anfang der 1990er Jahre den Begriff heart brain prägte. Dieses kleine Gehirn im Herzen verfügt über ein Kurz- und Langzeitgedächtnis, steht in ständiger Verbindung mit dem Gehirn und ist in der Lage, Körperreaktionen zu steuern, Gefühle zu erzeugen und so dem Körper Hinweise zu geben.4 Ein guter Indikator für die hohe innere Aktivität, das Denken des Herzens, ist sein Sauerstoffverbrauch: Bei nur 0,5 % Anteil an der Körpermasse verarbeitet es 5 % des aufgenommenen Sauerstoffs.5
Die Wege des Herzens sich auszudrücken sind vielfältig und zeigen sich in Form körperlicher Impulse. Du kennst das: Ein plötzliches dumpfes Unwohlsein oder kribbelndes Euphoriegefühl, ängstliches Verkrampfen, Zittern, Unruhe oder das Gefühl wohliger Geborgenheit etc. Die Botschaften des Herzens offenbaren sich zudem in Träumen, Zeichen im Außen oder auch direkten Eingebungen. Oftmals wird der Bauch zum Sprachrohr des Herzens. Nicht von ungefähr werden wir immer wieder ermutigt, auf unser Bauchgefühl zu hören, unseren siebten Sinn bzw. unsere Intuition.
Ein schönes Beispiel für den Charakter des Herzens ist die Partnerwahl: Während der Verstand den Partner fürs Leben notdürftig anhand von Aussehen, Prestige, Bildung, sozialer Stellung, Einkommen und Besitz auswählen würde, sind dem Herzen all diese Äußerlichkeiten völlig gleichgültig. Ihm geht es darum, die Ausstrahlung des anderen Herzens zu erspüren, sich von ihm berühren zu lassen, mit ihm in harmonische Resonanz zu gehen.6
Nicht die Schönheit entscheidet, wen wir lieben,
Victor de Kowa
die Liebe entscheidet, wen wir schön finden.
Ob und wie allerdings die Botschaften des Herzens wahrgenommen und gelebt werden, ist stark vom Charakter eines Menschen abhängig: „Wird er den Mut haben, den Impuls umzusetzen, oder eher nicht? Ist er überhaupt sensibilisiert für solche Informationen, oder werden sie von seinem Unterbewusstsein schon vorher ausgefiltert? Hat er gelernt, seinen Impulsen zu vertrauen, oder wurde er dazu erzogen, nur der Vernunft zu folgen? Hat er Ängste und lässt zu, dass sie seinen Weg kontrollieren, oder geht er immer wieder durch sie hindurch?“7
Ein ewig unterdrücktes, verdrängtes, nicht gehörtes, in Unklarheit, Negativität, Scheinheiligkeit und Heuchelei gehaltenes Herz wird rebellieren, sich Gehör über immer mächtigere Formen des Ausdrucks verschaffen, bis hin zu ernsthaften Erkrankungen. Somit ist es eine, vielleicht sogar die zentrale Lernaufgabe eines jeden Menschen, Herz und Verstand nachhaltig in Einklang zu bringen, und somit dem Herzen Flügel zu verleihen.
Rüdiger Schache liefert eine Reihe berührender Beispiele dafür, wie transplantierte Herzen charakterliche Eigenschaften, Begabungen, kulturelle Vorlieben, liebevolle Bindungen und Sehnsüchte – insgesamt „unser Menschsein in seiner schönsten und reinsten Form“8 – auf ihre Empfänger übertragen. Es ist als würde der Spender als Teil des Empfängers weiterleben. Hieran wird deutlich, dass das Herz auch über seinen physischen Tod hinaus in der Lage ist, Informationen und Eigenschaften zu bewahren, die wir für gewöhnlich als die Seele eines Menschen bezeichnen. Somit führt er den Beweis, dass die Seele im Herzen beheimatet ist.9
Also, hör‘ auf Dein Herz!
Ich danke Rüdiger Schache für sein wundervolles Buch Herzverstand, das mir die Augen und das Herz geöffnet hat.
Von Herzen
Thomas
Abbildungsnachweis
- Beitragsbild Herzwolke: Pixabay (CC0 Public Domain)
- Der kleine Prinz © Anaconda-Verlag, Illustration von Antoine de Saint-Exupéry persönlich.
- HeartMath-Institute-Logo © www.heartmath.org
- Geflügeltes Herz: Auftragsarbeit Stefanie H. © Thomas Hönemann
- zitiert in enger Anlehnung an Vera F. Birkenbihl: Stroh im Kopf? Vom Gehirn-Besitzer zum Gehirn-Benutzer, Speyer 552017, S. 295. [↩]
- Der Kleine Prinz (1943), Neuübersetzung Köln 2015, S. 71. [↩]
- Rüdiger Schache: Herzverstand. Mit den 4 Schlüsselfragen zu unserem größten Potenzial, München (Arkana) 2015, S. 26 [↩]
- vgl. www.heartmath.org/articles-of-the-heart/the-math-of-heartmath/heart-intelligence/, eigene Übersetzung, sowie Schache (2015), S. 41 [↩]
- vgl. Schache (2015), S. 41f. [↩]
- vgl. Schache (2015), S. 85ff. [↩]
- Schache (2018), S. 78 [↩]
- Schache (2015), S. 115 [↩]
- vgl. Schache (2015), S. 51, 74 und 115f. [↩]